2022, Artbloom, Superbloom München, Foto Michael Hopf_1
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2022, Artbloom, Superbloom München, Foto Michael Hopf_2
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2022, Artbloom, Superbloom München, Foto Michael Hopf_4
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2022, Artbloom, Superbloom München, Foto Michael Hopf_3
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2022, Artbloom, Superbloom München, Foto Michael Hopf_5
2022, Artbloom, Superbloom München, Foto Michael Hopf_5
2020, ARTIFARI2020, Artothek München_1
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2020, ARTIFARI2020, Artothek München_9
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2020, ARTIFARI2020, Artothek München_8
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2020, ARTIFARI2020, Artothek München_7
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2020, ARTIFARI2020, Artothek München_10
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2020, ARTIFARI2020, Artothek München_6
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2020, ARTIFARI2020, Artothek München_5
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2020, ARTIFARI2020, Artothek München_11
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2020, ARTIFARI2020, Artothek München_12
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2020, ARTIFARI2020, Artothek München_2
2020, ARTIFARI2020, Artothek München_2

C12H22O11 ist nicht nur süß. 

Louisa Abdelkaders Protokolle, Systeme und bunte Bauten 2008–2020. 

Na? Uff. 

 

Auf der Artifari fand ich Hieroglyphen in Pastell. Das machte ziemlich gute Laune, aber dabei ist es nicht geblieben. Es zeigte sich, dass dieses Bonbon noch um einiges besser schmeckt, wenn ich die Gebrauchsanleitung lese und mit diesem Lesen bin ich bis heute noch nicht fertig geworden. 


Die Arbeiten von Louisa Abdelkader denken selbst. Sie denken durch Aktion, durch Material, durch Raum, durch Körper. Besser: Das Arbeiten denkt selbst. Der Prozess mit Material, mit Aktion, mit Körper denkt selbst. Es wird viel über die Kunst nachgedacht, über ihre Voraussetzungen und Möglichkeiten, über den Vorgang und die Bedingungen der Produktion. Das ist viel mehr als die in sich verkapselte Selbstreflexion der Kunst im Zuge der Moderne, von der manche sagen würden, dass sie bereits abgeschlossen ist. Denn es wird hier nichts gesagt, sondern im anspruchsvollen Sinn gezeigt. Es wird also auf ein Verstehen der schillernden Gesamtheit Kunst gezielt, das viel näher bei Adorno steht als bei August Comte. Diese klingenden Namen sollen hier als Kürzel stehen, um die Möglichkeit einer Erkenntnis anzudeuten, die etwas anderes ist als verkürzte Rationalität ohne aber in die seichten Gefilde der Esoterik abzugleiten. 

Das Zeigen eines Sachverhaltes ist offen und unabschließbar im Gegensatz zum Feststellen, Begreifen und Definieren, das einen Schlussstrich setzt. Das Zeigen ist mithin auch ein Prozess und so macht es viel Sinn, dass die Projekte der Künstlerin den Charakter fortlaufender ineinander überführender Aktionen haben. Im Zeigen tritt ein Gegenstand als lebendiges Ding hervor, was die Folge hat, das diese Arbeiten die Kunst reflektieren und trotzdem alles andere als kühl sind – darin vielleicht dem Werk von John Baldessari verwandt, dessen Konzeptkunst unter der kalifornischen Sonne Farben angenommen hat. 

 

Das grundlegende Prinzip der Praxis der Künstlerin ist die allesfressende rekursive Biomaschine: Die Ergebnisse des lebendigen künstlerischen Prozesses dienen als neuer Input für den Prozess und so weiter. Was während der Arbeit geredet wird, wird später in der Arbeit als Zitat verarbeitet. Installationen dienen als Kulisse für Performances, die dann als Film wieder in die Installation eingespeist werden. Aus formalen Materialerkundungen werden Objekte, die sich im Kontext einer Ausstellung in ein Malereizitat verwandeln. Mediale Beschränkungen gibt es keine. Prinzipiell kann alles in diese Art der Praxis hinein gezogen werden. 

 

Zu den Strategien, denen man in diesem Werk immer wieder begegnet, gehört - wie eben angedeutet - eine Art Ethnologie der eigenen Lebensumgebung, die eben dominant die Arbeitsumgebung einer Künstlerin ist. So werden beispielsweise über längere Zeiträume Sprechakte protokolliert. Diese können aus Gesprächen mit Kolleg*innen während der Arbeit entnommen werden, oder aus anderen typischen Situationen der Kunstwelt. Ausgewählte Gesprächsfragmente tauchen dann neu montiert, in den Arbeiten wieder auf. Die Rekontextualisierung der verbalen Fundstücke erzeugt dabei eine ebenso irritierende wie erhellende Distanz zu dem vermeintlich bekannten Sprechen im Umfeld von Kunst. Der Schleier der Vertrautheit hebt sich und das soziale Konstrukt kommt zum Vorschein, die Frage provozierend: Ist es nicht absurd, dass wir das tun? 

 

Typisch ist zudem, dass die verknüpften Performances, Dokumentationen des eigenen Tuns und eigenen Umfeldes, Zeichnungen, bildhauerischen Prozesse usw., denen sich die Künstlerin widmet, in großen raumgreifenden Installationen zusammengeführt werden. Diese sind aber keine definitiven Höhen oder Endpunkte, Synthesen des Wesentlichen, abschließende Summen oder endgültige Schlussfolgerungen. Vielmehr handelt es sich um vorübergehende verdichtete Aggregatszustände einer Praxis, die im ganzen flüssig und explorativ bleibt. 

 

Diese Installationen reagieren meist auf die Eigenart konkreter Orte, die durch oft materialaufwendige Bauten verwandelt werden. Dabei entstehen raumgreifende Bilder, die den Betrachter umfangen und durch ihre semantische Offenheit einen Spielplatz der Imagination anbieten. Vielfach dienen dabei soziale Räume, die dem zweckrationalen Alltagsbetrieb der Gesellschaft enthoben sind, als gegenständliche Referenz der Großarrangements: der Zirkus, der Zoo, das Volksfest.


Meist bevölkert die Künstlerin selbst die gebauten Umgebungen in Gestalt von Kreaturen, die aus dem Stoff der Arbeiten selbst gemacht sind. Diese Wesen bewohnen eine Welt jenseits von Kategorien wie Tier/Mensch, Mann/Frau usw. und stellen sogar den Grundsatz der Identität der Substanz mit sich selbst in Frage, indem sie sich in eine Mehrzahl von Rollen aufspalten und doch die gleiche bleiben können. Exzessiv ist das Gebaren dieser Wesen in ihren Habitaten und so auch die Arbeit hinter den Kulissen, die nicht nur sprühend fröhlich sind, sondern zugleich auch wuchernd, beinahe brutal platzgreifend und abgründig maßlos // (das Kind, das Zucker liebt, schlittert auf dem Kontinuum zum Monster und hält doch inne, wenn es sich entfalten kann). 


Beginnend mit der Arbeit UffAffUff ist Schaumstoff zum wichtigsten Material vieler der großen Installationen geworden. Das Industrieprodukt, das für die körperangepasste Unsichtbarkeit entwickelt worden ist, verliert hier seine Funktion und erhält im Kontext der Arbeiten eine neue sichtbare Identität - etwa als Zitat der Farbmasse, die in der Moderne unter verschiedensten Vorzeichen (symbolisch, expressiv, konkret usw.) zu abstrakten Mustern gefügt worden ist.

 

In jüngster Zeit hat die Künstlerin damit begonnen, sich den Institutionen der Kunstwelt im engeren Sinn zuzuwenden. So befassen sich ARTIFARI 2017 und 2020 mit der Artothek in München - einem Verleih für Kunst aus der Stadt. Dabei kommen die vielfältigen Diskurse, die die Objekte der Kunst umgeben, in den Blick und eine permanente Identitätskrise der Werke zwischen Kunstwelt und Gebrauchsgegenstand der Innenarchitektur scheint auf. Louisa Abdelkader entwickelt hier eine quasi Zoologie der eingelagerten Werke und der Usancen ihres Verleihes, die zwischen dem Absurden und tatsächlicher Erkenntnis schwankt. All das mündet in der Schöpfung eines ikonisch-symbolischen Codes, der am Ende die Räume der Artothek füllend davon berichtet, was hier und im Zusammenhang mit diesem Ort geschehen ist, ganz so, wie die Hieroglyphenfelder des alten Ägypten dies getan haben. 


Die verstärkte Befassung mit Zeichen in diesen neuen Projekten findet ihre Entsprechung in der Verwendung neuer Materialien und bildhauerischen Verfahren. So bestehen die neueren Installationen aus einem Vokabular von DIN-formatierten Fragmenten, die sich situativ zu immer neuen bildhauerischen Aussagen zusammensetzen lassen. Als Material sind gußfähige Stoffe wie Gips, Acrystal, Epoxidharz und Pigmente hinzugetreten, die die vielfache Reproduktion von Formen erlauben, welche auch für die Natur des Zeichens konstitutiv ist, das die unbegrenzte Realisierbarkeit des gleichen Signifikanten in verschiedenen Ereignissen des Zeichengebrauchs zur Existenzbedingung hat. 

 

Regeln und Kategorien, Codes und Übersetzungen, Protokoll, Abstraktion, Wiedereinspeisung, Rekombination, Transformation. Es sind beinahe algorithmische Verfahren, die hinter den Arbeiten der Künstlerin operieren. Sie definieren die Versuchsanordnungen, sind aber auch als mentale Form an sich ästhetisch interessant. Die opake Schönheit der Kochrezepte spiegelt sich außen in der Benutzeroberfläche der Arbeiten. Diese leuchtet und berauscht psychedelischen Bonbons für den Betrachter gleich, die den Geist umfassend in Bewegung versetzen.

 

“NANANA”: Nicht von ungefähr erinnert einer dieser sprechenden Titel der Künstlerin an das gute alte DADA - Lenins emphatisches Ja Ja. Jedoch ist dieses DADA nicht Theorieprodukt, sondern Epiphänomen einer realen Praxis der künstlerischen Forschung. Der vermeintliche Unsinn in den Arbeiten Louisa Abdelkaders ist mitreisend und befreiend, weil er wahr ist oder dies zumindest versucht.


Text von Andreas Woller